Sensors4Rail testete erstmals sensorbasierte Wahrnehmungssysteme im Bahnbetrieb
Bedeutender Schritt in Richtung vollautomatisiertes Fahren.
Sensorbasierte Wahrnehmungssysteme ermöglichen eine sehr präzise Umfeldwahrnehmung und Ortung von Zügen. Damit können sie zur Streckenbeobachtung bei Zugfahrten eingesetzt werden. In Verbindung mit ATO-Technologien (Projekt Digitale S-Bahn Hamburg) sind sie daher eine wichtige technologische Komponente für das vollautomatisierte Fahren. Parallel dazu sammeln sie wichtige betriebliche Daten in hoher Frequenz, auf deren Basis z. B. Störungen schneller detektiert werden können und eine Optimierung der Zugdisposition möglich ist. Das macht den Bahnverkehr flüssiger und zuverlässiger. Die Kapazität der Strecke kann gesteigert werden.
Ein erstes zentrales Kooperationsprojekt der Digitalen Schiene Deutschland war Sensors4Rail. Kern des Projektes war es, das Zusammenspiel aus sensorbasierter Umfeldwahrnehmung und Zugortung mit einer digitalen Karte zu verproben. Dafür wurden hochmoderne Sensoren und eine leistungsfähige Rechnerumgebung in ein Testfahrzeug der S-Bahn Hamburg integriert und entsprechende Softwarekomponenten entwickelt.
Das System stellt genaueste Informationen über das Umfeld des Zuges und eine präzise Zugposition in Echtzeit zur Verfügung. Durch eine intelligente Kombination dieser Technologien ist die Erkennung von statischen und dynamischen Hindernissen auf und neben dem Gleis sowie deren Gefahreneinschätzung möglich. Dies spielt sowohl für die Entwicklung möglicher Assistenzsysteme als auch für die Vorbereitung eines vollautomatischen Betriebs eine entscheidende Rolle. Um die Position von Fahrzeugen zentimetergenau bestimmen zu können, kommen eine hochpräzise digitale HD-Karte und moderne Satellitentechnik ins Spiel: Der Zug ortet sich mithilfe von in der Gleisumgebung bestehenden Landmarken wie Oberleitungsmasten, Bahnsteigkanten oder anderen markanten Objekten. Die bei der Umfeldwahrnehmung detektierten Landmarken werden dabei mit den in der HD-Karte hinterlegten Landmarken und den über das globale Navigationssatellitensystem (GNSS) sowie der Fahrzeugodometrie georteten Positionen abgeglichen. Damit wird die Karte zum „digitalen Zwilling“ der Schiene und ihrer unmittelbaren Umgebung.
Darüber hinaus werden wichtige betriebliche Daten in hoher Frequenz (z. B. Positionsdaten oder Hindernisse im Gleis) gesammelt und über eine Cloudschnittstelle bereitgestellt. Diese Daten können dazu benutzt werden, z. B. Störungen schneller zu bearbeiten und die Zugdisposition zu optimieren. Das macht den Bahnverkehr flüssiger und zuverlässiger und steigert die Streckenkapazität.
Blick hinter die Kulissen: Technologien und Use Cases des Projekts Sensors4Rail
Zugfront des Projektfahrzeuges Sensors4Rail: Deutlich sichtbar sind die Sensoren für die Umfeldwahrnehmung an der Fahrzeugfront: vier Radare, vier Kameras (davon drei im sichtbaren Spektralbereich und eine im mittleren Infrarot) sowie sechs Lidar-Sensoren. Nicht sichtbar ist die innenliegend neben den Lidar-Sensoren verbaute Inertiale Messeinheit zur Bestimmung der Eigenbewegung des Fahrzeugs.
Im Innenraum des Fahrzeuges befinden sich die hoch performanten Serversysteme mit mehreren Grafikprozessoren (GPUs - graphics processing unit), ein Datenspeicher und ein 10Gbit-Netzwerk zur Datenübertragung zwischen den Komponenten – vieles davon erstmalig im Einsatz im Bahnbetrieb.
Das veranschaulicht die Komplexität: Insgesamt wurden für den Sensors4Rail-Prototypen bei einer Zuglänge von 60 m etwa 4,3 km Kabel verlegt sowie 45 spezielle Hardwarekomponenten und 3500 Kleinteile verbaut.
Die Abbildung zeigt schematisch die Systemumgebung mit Testfahrzeug samt Hard- und Software. Der Zug nutzt die verbaute Sensorik zur Erfassung des Umfeldes und empfängt zeitgleich GNSS-Signale. Für die Kommunikation zwischen Cloud und Zug sorgt eine priorisierte LTE/4G Verbindung des Partners Vodafone.
Durch die Integration der drei Subsysteme Umfeldwahrnehmung, Lokalisierung und Digitale Karte wurden im Projekt Sensors4Rail die folgenden sechs Use Cases prototypisch implementiert und erprobt:
-
Landmarkenerkennung: Detektion von Landmarken und Abgleich mit der Digitalen Karte für eine genaue Positionsbestimmung der Zugfront.
-
Zugdetektion: Detektion und Klassifizierung von Zügen auf den Nachbargleisen, damit diese nicht als Gefahr oder Hindernis identifiziert werden.
-
Personendetektion: Detektion, Klassifizierung und Positionierung von Personen auf dem Bahnsteig, um im Notfall reagieren zu können.
-
Gleiserkennung: Detektion des eigenen Gleisverlaufs und der Nachbargleise sowie ein Abgleich mit der digitalen Karte, um Objekte relativ zum Gleisverlauf positionieren zu können.
-
Konsolidierte Zugfrontposition: Fusion aller Lokalisierungs- und Weginformationen zu einer konsolidierten Position auf dem Gleis für eine hochpräzise Echtzeitlokalisierung - ohne zusätzliche Infrastrukturelemente
-
Gleisfreiraumerkennung: Eine Überwachung des Volumens innerhalb und außerhalb des Lichtraumprofils des eigenen Gleises und des Nachbargleises dient dazu, auf unbekannte Hindernisse reagieren zu können.
Das Projekt Sensors4Rail verstehen
Welche Ziele verfolgte das Kooperationsprojekt und welche Partner waren an Bord? In diesem Video erfahren Sie mehr über Sensors4Rail.
Projektphase 1: Von der Theorie auf‘s Gleis
Für die Realisierung des Projektes war es notwendig, Zukunftstechnologien aus verschiedenen Branchen in das System Bahn zu integrieren. In der ersten Projektphase hat die Digitale Schiene Deutschland gemeinsam mit folgenden vier Partnern aus benachbarten Industriebranchen erfolgreich zusammengearbeitet:
- Siemens Mobility unterstützte bei der Fahrzeugintegration, verantwortete die Systemtests und die Lokalisierung der Zugfrontposition mittels einer modernen Odometrie-Einheit unter Einbindung des Globalen Navigationssatellitensystem (GNSS), Fahrzeugodometrie und Landmarkenpositionen.
- Für die Realisierung der Umfeldwahrnehmung und Objekterkennung waren die Partner Bosch Engineering (Radar, Infrarot Long-Range-, Mid-Range- und Stereokamera) und Ibeo Automotive Systems (Lidar-Sensoren) verantwortlich.
- HERE Technologies lieferte die HD-Karte in 3D, um die zentimetergenaue Verortung des Zuges auf der integrierten DB-Streckentopografie zu ermöglichen
- Die Deutsche Bahn war verantwortlich für Projektmanagement, Fahrzeug-Engineering, Zulassung, Safety und stellt Fahrzeuge sowie Infrastruktur.
Umbau des Projektfahrzeuges im Entwicklungsprojekt Sensors4Rail
Um die innovative Technik im Projektfahrzeug zu verbauen und das Fahrzeug für den ITS Weltkongress aufzuhübschen, musste einiges getan werden. Dieses kurze Video gewährt einen Blick hinter die Kulissen.
ITS Weltkongress 2021: Premiere für Sensors4Rail
Der ITS Weltkongress 2021 in Hamburg bedeutete die Premiere für Sensors4Rail: Zum ersten Mal fuhr das ausgestattete Testfahrzeug im Rahmen von Sonderfahrten auf der 23 Kilometer langen Strecke der Linie S21 zwischen Hamburg-Berliner Tor und Bergedorf und testete die sensorbasierten Wahrnehmungssysteme live im Zugbetrieb.
Mit Bravour gemeistert! Zirka 400 Messegäste konnten die Live-Animation der Sonderfahrten auf Videobildschirmen im folierten und neu ausgestatteten Zug erleben. Gleichzeitig fand eine simultane, moderierte Live-Übertragungen zu dem DB Messestand auf dem Hamburger-Messegelände statt und konnte dort von mehreren Hundert Messebesucherinnen und -besuchern mitverfolgt werden. Die besondere Herausforderung hierbei: Technische Inhalte so zu präsentieren, dass sensorbasierten Wahrnehmungssysteme inkl. ihrer Subsysteme und die erprobten Funktionalitäten verstanden und erlebbar wurden.
Wie wurde das ermöglicht? Auf Basis von einer modernen Grafikumgebung wurde ein virtuelles Abbild der Realität geschaffen und mit den Live-Daten des Sensor4Rail-Systems gespeist. Als Grundlage der Visualisierung dienten hierbei Daten des Gleisverlaufs und der Stationen aus der hochgenauen Vermessung der Strecke.
Testing, Umbau, Premiere: Sensors4Rail Projektphase 1
Ebenso wurden die Sonderfahrten als Live-Streaming Event ins Internet übertragen, gesondert moderiert und so unabhängig von der Messe einer großen Zahl interessierter Personen zugänglich gemacht.
Projektphase 2: Technologieerprobung im Dauertestbetrieb
Von Januar 2022 bis März 2023 sind zahlreiche Messfahrten durchgeführt worden. In der zweiten Phase des Projekts lag das Augenmerk auf der Sensordatenakquise. Durch eine Ausweitung des Testgebietes auf weitere Strecken im Hamburger S-Bahn-Netz konnten wertvolle Erkenntnisse über die Performance der Funktionen in unterschiedlichen Szenarien und Streckenabschnitten gewonnen werden. Außerdem stand eine Erhöhung der Diversität der Daten im Vordergrund. Dazu zählten neben neuen Teststrecken auch die Aufnahmen von Rohdaten bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen und Tages- sowie Nachtzeiten. Diese Rohdaten der Sensoren dienen als Grundlage für die fortwährende Weiterentwicklung des Systems durch ein wiederholtes Training der verwendeten neuronalen Netze. Eine detaillierte Analyse der Abhängigkeit zwischen Menge der Test- und Trainingsdaten sowie der Performance eines KI-basierten Systems ist notwendig, um die Aufwände für spätere Entwicklung, Erprobung und Einführung KI-basierter Funktionen für den operativen Betrieb besser einschätzen zu können. Die Phase zwei im Projekt ist vergleichbar mit den ersten Testfahrten der mit Sensorik ausgestatteten Automobile für das autonome Fahren auf der Straße - jedoch hatte auf den Gleisen auch weiterhin der Triebfahrzeugführer die volle Kontrolle über das Fahrzeug. Das Sensors4Rail System lief “im Stillen” mit und lernte.
Die Digitale Schiene Deutschland freut sich, dass auch in der zweiten Phase des Projekts die branchenübergreifende Zusammenarbeit fortgesetzt werden konnte. Alle Partner aus Phase 1 waren auch in Phase 2 mit an Bord und haben ihr Knowhow für die Einführung sensorbasierter Wahrnehmungssysteme in die Bahn eingebracht.
Ein Erfolgsprojekt geht zu Ende
Am 6. April war es so weit: Das Sensors4Rail-Testfahrzeug "Santana" wurde erfolgreich aus Hamburg nach Berlin Spandau zur Havelländischen Eisenbahn (HVLE) überführt und anschließend außer Betrieb gesetzt. Mit diesem Schritt wurde die 15-monatige Test- und Datensammlung im Netz der S-Bahn Hamburg und damit die letzte Phase des Projektes erfolgreich abgeschlossen.
Nach einer Laufzeit von insgesamt vier Jahren ist Sensors4Rail, eines der bislang erfolgreichsten Forschungs- und Entwicklungsprojekte der Digitalen Schiene Deutschland, beendet. Die gesammelten Erkenntnisse aus den einzelnen Projektphasen sowie die Daten aus den Versuchsfahrten fließen nun in die Spezifikation und Entwicklung der nächsten Generation von sensorbasierter Umfelderkennung, Lokalisierung und Digitaler Karte ein. Gemeinsam bilden diese Funktionalitäten für den Bahnsektor eine wichtige Grundlage für das vollautomatisierte Fahren auf der Schiene.
Nähere Informationen über den Projektabschluss und gesammelte Erkenntnisse gibt es hier.