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Beim Abschlussevent am 14.06. traf sich das Sensors4Rail-Team bei der HVLE in Berlin Beim Abschlussevent am 14.06. traf sich das Sensors4Rail-Team bei der HVLE in Berlin
21.06.2023

Sensors4Rail: Ein Erfolgsprojekt geht zu Ende

Nach einer Laufzeit von insgesamt vier Jahren ist Sensors4Rail, eines der bislang erfolgreichsten Forschungs- und Entwicklungsprojekte der Digitalen Schiene Deutschland, beendet. Die gesammelten Erkenntnisse aus den einzelnen Projektphasen sowie die Daten aus den Versuchsfahrten fließen nun in die Spezifikation und Entwicklung der nächsten Generation von sensorbasierter Umfelderkennung, Lokalisierung und Digitaler Karte ein. Gemeinsam bilden diese Funktionalitäten für den Bahnsektor eine wichtige Grundlage für das vollautomatisierte Fahren auf der Schiene.

Am 6. April war es so weit: Das Sensors4Rail-Testfahrzeug "Santana" wurde erfolgreich aus Hamburg nach Berlin Spandau zur Havelländischen Eisenbahn (HVLE) überführt und anschließend außer Betrieb gesetzt. Mit diesem Schritt wurde die 15-monatige Test- und Datensammlung im Netz der S-Bahn Hamburg und damit die letzte Phase des Projektes erfolgreich abgeschlossen.

 

Die erste Phase des Projektes erstreckte sich von 2019 bis Ende 2021. Sie beinhaltete die Systementwicklung mit den Industriepartnern, den Fahrzeugumbau und die Demonstration der Live-Funktionalität auf dem ITS-Weltkongress 2021 in Hamburg. In der zweiten Phase, die von Januar 2022 bis Juni 2023 andauerte, wurde das Versuchsfahrzeug „Santana“ für den Dauertestbetrieb optimiert. Im Anschluss wurden insgesamt über 500 Stunden Testfahrten im S-Bahn-Netz der Stadt Hamburg durchgeführt. Mit Hilfe der Ausweitung des Testgebietes auf weitere Strecken im Hamburger S-Bahn-Netz konnten wertvolle Erkenntnisse über die Performanz der Funktionen “Objekt- und Schienendetektion” in unterschiedlichen Szenarien und Streckenabschnitten gewonnen werden. Außerdem stand eine Erhöhung der Diversität der Daten im Vordergrund. Dazu zählten neben neuen Teststrecken auch die Aufnahme von Rohdaten bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen und Tages- sowie Nachtzeiten. Am 14. Juni fand das gemeinsame Projektabschlussmeeting aller Projektpartner und Beteiligten bei der HVLE in Berlin Spandau statt. Zukünftig wird das Projektfahrzeug “Santana” als Anschauungsobjekt für Präsentationszwecke genutzt. Am Tag der Schiene vom 15. bis 16. September 2023 in Berlin Spandau wird es erstmals wieder seit 2021 einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.

Sensors4Rail: Worum ging es eigentlich?

Sensors4Rail Abschlussfilm
Das Video gibt einen Eindruck über das Vorhaben und Ziele sowie über Umsetzung und Nutzen des Erfolgsprojekts Sensors4Rail.

Eines der Ziele der Digitalen Schiene Deutschland ist vollautomatisiertes Fahren, d. h. automatisiertes Fahren im Grade of Automation 4 (ATO GoA4) im offenen Vollbahnsystem. Es ermöglicht einen flexibleren Einsatz des verfügbaren Personals und der Triebfahrzeuge. Erst durch diese neue, digitale Technologie kann das gesamte Potenzial der Digitalisierung des Bahnbetriebs ausgeschöpft werden. Die Entwicklung zulassungsreifer Produkte im Bahnsektor für die bei ATO GoA4 steht allerdings noch am Anfang. Dafür sind unter anderem Umfelderkennung, eine genauere Lokalisierung und Digitale Karten notwendig – Technologien, die in dieser Form noch nicht serienreif verfügbar sind. Deshalb hat die Digitale Schiene Deutschland zusammen mit namhaften Industriepartnern im Rahmen des Entwicklungsprojekts Sensors4Rail eine Prototypisierung der benötigten Hard- und Software-Komponenten durchgeführt. Dabei wurde ein Fahrzeug der Baureihe 472 der S-Bahn Hamburg mit zahlreichen Sensoren für Umfeldwahrnehmung und Lokalisierung ausgestattet, welche im oben eingebetteten Video im Detail erläutert werden. Darauf aufbauend haben die Industriepartner Siemens Mobility, Bosch Engineering, MicroVision (ehemals Ibeo Automotive System GmbH) und HERE Technologies sechs fundamentale Funktionen des zukünftigen GoA4-Betriebs prototypisch implementiert und demonstriert.

 

Die technologischen Herausforderungen, wie etwa Reichweite der benötigten Sensorik und Robustheit gegenüber Umwelteinflüssen, unterscheiden sich im Bahnsystem deutlich von denen in anderen Industrien. So ist etwa im Automotive-Bereich typischerweise eine Sichtweite von 150 m für Funktionen im urbanen Umfeld erforderlich. Beim Zug hingegen ist der Bremsweg um ein Vielfaches länger – daher müssen im Bahnsektor höhere Ansprüche an die Sichtweite der Sensorik an der Zugfront gestellt werden, damit eine mindestens gleich hohe Sicherheit wie im heutigen Betrieb gewährleitet ist. Für eine zukünftige Entwicklung ist es deshalb notwendig, diese Anforderungen genauer zu quantifizieren.

Statistik über die gesammelten Daten

In der zweiten Phase des Projektes konnten insgesamt über 500 Stunden zeitsynchrone Multisensordaten und Funktionsdaten des Sensors4Rail-Systems aus dem Versuchsbetrieb im Netz der S-Bahn Hamburg aufgezeichnet werden. Das entspricht über 450 Terabyte Daten. Hierzu zählen die Rohdaten aus 14 an der Fahrzeugfront verbauten Sensoren (Kameras, Lidare, Radare) sowie zu jedem Zeitpunkt der vom System erkannte Gleisverlauf, detektierte Landmarken, Personen, Züge sowie potenzielle Hindernisse im und am Rand des Lichtraumprofils. Der Aufnahmezeitraum erstreckte sich über ein knappes Jahr (von Mai 2022 bis Ende März 2023). Somit war es möglich, Daten zu jeder Jahreszeit aufzuzeichnen. Für die Aufnahmezeiten war eine enge Abstimmung mit der S-Bahn Hamburg notwendig, um den dort laufenden S-Bahn Betrieb nicht zu beeinflussen. Die Versuchsfahrten konzentrierten sich daher auf die so genannten Schwachlastzeiten zwischen 9 und 14 Uhr sowie 21 und 5 Uhr. Das Sensors4Rail-Fahrzeug fuhr dabei im laufenden Betrieb mit, jedoch ohne Fahrgäste. Gleichzeitig hatte zu jedem Zeitpunkt der/die speziell geschulte Triebfahrzeugführer:in die volle Verantwortung für das Fahrzeug. Das Sensors4Rail-System wurde durch die Expertinnen und Experten des Projektteams dabei fernüberwacht.

Abbildung 2: Gezeigt ist die Anzahl der Datensets, sortiert nach Monat/Jahr und Uhrzeit der Aufnahme (oben) und die Teststrecken (unten) während der zweiten Phase von Sensors4Rail. Es wird deutlich, dass zu jeder Jahreszeit sowohl Tages- als auch Nachtfahrten stattfanden und somit eine hohe Diversität der aufgenommenen Daten sichergestellt wurde. Abbildung 2: Gezeigt ist die Anzahl der Datensets, sortiert nach Monat/Jahr und Uhrzeit der Aufnahme (oben) und die Teststrecken (unten) während der zweiten Phase von Sensors4Rail. Es wird deutlich, dass zu jeder Jahreszeit sowohl Tages- als auch Nachtfahrten stattfanden und somit eine hohe Diversität der aufgenommenen Daten sichergestellt wurde.
Abbildung 2: Gezeigt ist die Anzahl der Datensets, sortiert nach Monat/Jahr und Uhrzeit der Aufnahme (oben) und die Teststrecken (unten) während der zweiten Phase von Sensors4Rail. Es wird deutlich, dass zu jeder Jahreszeit sowohl Tages- als auch Nachtfahrten stattfanden und somit eine hohe Diversität der aufgenommenen Daten sichergestellt wurde. Abbildung 2: Gezeigt ist die Anzahl der Datensets, sortiert nach Monat/Jahr und Uhrzeit der Aufnahme (oben) und die Teststrecken (unten) während der zweiten Phase von Sensors4Rail. Es wird deutlich, dass zu jeder Jahreszeit sowohl Tages- als auch Nachtfahrten stattfanden und somit eine hohe Diversität der aufgenommenen Daten sichergestellt wurde.
Abbildung 2: Gezeigt ist die Anzahl der Datensets, sortiert nach Monat/Jahr und Uhrzeit der Aufnahme (oben) und die Teststrecken (unten) während der zweiten Phase von Sensors4Rail. Es wird deutlich, dass zu jeder Jahreszeit sowohl Tages- als auch Nachtfahrten stattfanden und somit eine hohe Diversität der aufgenommenen Daten sichergestellt wurde.

Die Daten wurden nach der Aufnahme in das neue Datenzentrum der Digitalen Schiene Deutschland, die so genannte Data Factory überführt und dort in sogenannte „Datensets“ untergliedert. Ein Datenset repräsentiert jeweils eine Fahrt von Endbahnhof zu Endbahnhof einer Linie im Hamburger S-Bahn-Netz, also z. B. auf der Strecke der S21 von Elbgaustraße nach Aumühle. Da alle Datensets über einen Zeitstempel identifiziert werden können, ist eine Filterung nach Jahres- oder Tageszeiten ohne weiteres möglich. Die Datensets wurden zusätzlich mit „Labels“ markiert, welche die gefahrene Strecke, den Zustand des Systems oder die verwendete Softwareversion des Systems bei der Aufnahme charakterisieren. Somit können bei der Auswertung beispielsweise alle Datensets, die auf der Linie der S21 aufgezeichnet wurden, gefiltert werden, um den Einfluss der jeweiligen Wetter- und Lichtbedingungen auf die Performance der oben genannten Anwendungsfälle zu analysieren.

Wozu werden die Daten benötigt?

Das oberste Ziel in der zweiten Phase war es, die einmalige Chance zu nutzen, mit dem Sensors4Rail-System Daten aus einer realen Betriebsumgebung auf unterschiedlichen Strecken aufzuzeichnen. Denn insbesondere für die Entwicklung einer sensorbasierten Umfeldwahrnehmung sind Daten mit einer hohen Diversität erforderlich. Der Grund dafür: Die zukünftige, zugseitige Umfeldwahrnehmung soll für den Betrieb optimiert werden. Die dahinter arbeitende KI muss daher in den Entwicklungsphasen möglichst viele unterschiedliche, realitätsnahe Situationen erlernen. Dazu zählen zum Beispiel überfüllte Bahnsteige, Objekte im Gleisbett oder Arbeiter im Gleisbereich – unabhängig von Tages- und Jahreszeit. Datensets aus einer immer gleichen Teststrecke, welche etwa nur nachmittags aufgezeichnet wurden, wären nicht so divers.

Die Daten werden vielseitig eingesetzt, wobei die Identifikation der Anwendungsfälle erst begonnen hat:

  • Im Bereich Umfeldwahrnehmung wird ein Katalog bahnbetrieblich relevanter Szenarien erstellt, welcher Eingang in die spätere Spezifikation der Seriensysteme findet.
  • Im Bereich Lokalisierung findet aktuell die detaillierte Auswertung der unterschiedlichen, aufgezeichneten absoluten und relativen Lokalisierungsdaten, wie etwa GNSS, landmarkenbasierte Lokalisierung und der IMU (Inertial Measurement Unit) sowie der Odometriedaten statt. Hierbei spielt vor allem auch die Performance in Tunneln ohne kontinuierlichen GNSS-Empfang eine wichtige Rolle.

Die Entwicklungspartner im Projekt nutzen die im Projekt gesammelten Sensorrohdaten als Basis zur Weiterentwicklung der bisher nur prototypisch umgesetzten Funktionen für die nächsten Entwicklungsschritte hin zur Serienreife.

 

Wie geht es weiter?

Das Data-Factory-Team der Digitalen Schiene Deutschland wählt im nächsten Schritt besonders interessante Datensets aus der Gesamtheit der 500 Stunden Testdaten aus und lässt diese Rohdaten anschließend von Partnern „labeln“ (annotieren). Das bedeutet, dass zu jedem Bild eine so genannte „ground truth“ (Referenz) händisch hinzugefügt wird. Auf einem Kamerabild vorkommende Personen sowie der Gleisverlauf werden markiert. Diese “ground truth” bildet die Basis, mit der sich die Performance unterschiedlicher Algorithmen vergleichen lässt. Nachdem dieser aufwändige Prozess abgeschlossen ist, wird die Digitale Schiene Deutschland einige der relevantesten Datensets veröffentlichen. Dabei soll – wie bereits beim ersten offenen Datensatz OSDaR23 – wieder mit dem Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung zusammengearbeitet und sich internationaler Standards bedient werden. Denn Daten sind die wichtigste Ressource in der Entwicklung automatisierter Systeme. Die die Digitale Schiene Deutschland will diese Ressource mit dem Sektor teilen und Industrie, Betreibern und Forschungseinrichtungen frei zur Verfügung stellen – für eine robustere und modernere Bahn der Zukunft.

 

Hinweis: AutomatedTrain - das Nachfolgeprojekt von Sensors4Rail ist gestartet.