
Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Verkehrsmanagement mit Multi-Agent-KI
Als Rückgrat eines zukunftsfähigen digitalen Bahnnetzes muss ein intelligentes Verkehrsmanagementsystem in der Lage sein, Zugbetrieb mit hoher Geschwindigkeit und Präzision zu planen und zu steuern. In unserer neuesten Forschungsarbeit stellt der Bereich Kapazitäts- und Verkehrsmanagementsystem (CTMS) der Digitalen Schiene Deutschland (DSD) einen wegweisenden Ansatz vor. Dieser nutzt ein KI-Modell, das mit Multi-Agent Reinforcement Learning (MARL) trainiert wurde, um detaillierte Fahrpläne sowohl für die Planungs- als auch die Echtzeitdisposition zu erstellen.
Ein neuer KI-basierter Ansatz für das Verkehrsmanagement
Hocheffizienter Bahnbetrieb erfordert komplexe Entscheidungsfindung über große Netzbereiche hinweg. Selbst kleine Verzögerungen können hier erhebliche Kettenreaktionen verursachen. Traditionelle Optimierungsmethoden sind zwar gut erprobt, erfordern jedoch Rechenzeiten, die mit zunehmender Verkehrsdichte exponentiell ansteigen. MARL verfolgt einen anderen Ansatz: MARL basiert auf den Grundsätzen des Deep Reinforcement Learning und trainiert ein KI-Modell, um individuelle, parallele Entscheidungen für jeden Zug zu treffen. Dabei "steuert" es Züge direkt durch eine mikroskopische Simulation des Bahnsystems und berücksichtigt dabei alle wesentlichen Details, von der Netztopologie und den Fahrzeugeigenschaften bis hin zu den Einschränkungen der Leit- und Sicherungstechnik.
Unter Verwendung einer detaillierten Simulationsumgebung, die reale Betriebsbedingungen nachbildet, lernt die KI in Tausenden von Simulationsläufen. Kontinuierlich passt sie die Geschwindigkeit an und setzt den nächsten Zielpunkt für jeden Zug fest—und konstruiert dadurch effektiv einen völlig neuen Fahrplan. Diese konstruktive Methode nutzt nicht nur alle verfügbaren Freiheitsgrade, sondern stellt auch sicher, dass die für einen Zug getroffenen Entscheidungen mit den Bedürfnissen der anderen Züge im Netz in Einklang gebracht werden.
Methode und Bewertung in realistischen Szenarien
Das neue MARL-System wurde an einem realen Abschnitt des deutschen Bahnnetzes rund um den Hauptbahnhof Magdeburg eingehend evaluiert. Zwei zentrale Anwendungsfälle wurden dabei untersucht:
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Koordination im dichten Verkehr: In einer dicht befahrenen Betriebsstelle erreichte der MARL-Ansatz eine Erfolgsrate von 100%, indem er die Einfahrt, Ausfahrt und Verkehrshalte mehrerer Züge auf engem Raum einwandfrei koordinierte.
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Netzweite Planung und Disposition: In einem größeren Netzbereich und Mischverkehr mit bis zu 41 Zügen pro Szenario verzeichnete das System Erfolgsraten von 94%—selbst dann, wenn unerwartete Störungen eine Umleitung von Zügen erforderlich machten.
Wesentlich dabei ist, dass die Rechenzeit für die Erstellung dieser detaillierten Fahrpläne über verschiedene Szenarien konstant unter 30 Sekunden blieb.

Der lineare Anstieg der Rechenzeit mit der Anzahl der Züge stellt eine signifikante Verbesserung gegenüber klassischen Methoden dar, bei denen die Bearbeitungszeit typischerweise exponentiell ansteigt. Schon für Szenarien mit 35 Zügen brauchen klassische Methoden über eine Stunde Rechenzeit. Der MARL-Ansatz produziert also nicht nur hochqualitative Fahrpläne, sondern tut dies auch mit einer Geschwindigkeit, die ihn für den Echtzeitbetrieb attraktiv macht.
Zusammenfassung und Ausblick
Unsere Arbeit zeigt, dass die Kombination modernster KI mit einer realistischen Simulation des Bahnbetriebs ermöglicht, die Grenzen herkömmlicher Optimierungsmethoden zu überwinden. Das auf MARL-basierende Verkehrsmanagementsystem ist ein vielversprechender Kandidat für die nächste Generation digitalisierter Dispositions- und Planungssysteme. Mit seiner Fähigkeit, hochdetaillierte, konfliktfreie Fahrpläne in kürzester Zeit zu erstellen sowie seiner inhärenten Skalierbarkeit, wird diese Technologie die Art und Weise verändern, wie wir Zugbetrieb planen, koordinieren und steuern—gerade auch angesichts steigender Verkehrsanforderungen und unerwarteter Störungen.
Indem wir den MARL-Ansatz weiter verfeinern und sowohl die Skalierbarkeit als auch die Qualität der Entscheidungen verbessern, rückt die Vision eines vollautomatisierten und digitalisierten Bahnsystems näher.
Weitere Details zum MARL-Ansatz und den Testszenarien finden Sie in diesem Fachartikel.