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Systemarchitektur

Die vollständige Digitalisierung des Bahnsystems

Um eine vollständige Digitalisierung und Automatisierung des Systems zu erreichen, ist ein systematischer Ansatz erforderlich, um auf betrieblicher Ebene die Zusammenhänge des komplexen Bahnsystems zu erfassen und zu analysieren. Risiken, die die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit, Instandhaltbarkeit und Sicherheit (Safety und Security) bedrohen, müssen analysiert und im digitalen ebenso wie im heutigen Bahnsystem beherrscht werden. Die Beherrschung dieser Risiken dienen als Grundlage für spätere Entwurfsentscheidungen. Die weitgehende Abstrahierung von der technischen Lösung schafft Unabhängigkeit und Offenheit für den Technologieeinsatz. 

 

Daher war es notwendig, sich von den gewachsenen Systemen, Schnittstellen und Regeln des bestehenden Systems zu lösen und eine übergreifende, neue Systemarchitektur für ein digitales Bahnsystem zu entwickeln, welche für eine nutzenorientierte Technologieentwicklung von Vorteil ist. Da dieses systematische Vorgehen mit textuellen Methoden nicht beherrschbar ist, wurde ein Vorgehen nach den Methoden des „Modellbasierten Systems Engineering (MBSE)“ gewählt, welches aus großen IT-Vorhaben bekannt ist. Für die Systembeschreibung wurden dabei drei grundlegende Designrichtlinien festgelegt:  

  • möglichst vollständige Automatisierbarkeit und Simulierbarkeit als Grundlage für Validierungs-, Verifikations- und Integrationstests
  • möglichst vollständige Modularisierbar- und Standardisierbarkeit
  • Kapselung sicherheitsrelevanter von nicht sicherheitsrelevanten Funktionen 

Damit wurde eine modellbasierte Referenzarchitektur entworfen, die im Sinne eines konfigurierbaren Baukastens als Grundlage für Projekte (von Prototypen über Piloten bis zum Serien-Roll-Out) dient. Abbildung 1 zeigt den aktuellen Entwicklungsstand der schematischen Referenzarchitektur und beschreibt die Funktionsbereiche des digitalen Bahnsystems.

Schematische Darstellung der Referenzarchitektur

Aufbauend auf Stufe 1, der Basis Digitalisierung der Digitalen Schiene Deutschland, sind für die vollständige Digitalisierung des Bahnsystems nach aktuellem Stand zehn funktionale Cluster notwendig, die sich in 4 Ebenen unterteilen: 

 

Plattformen 

Neue digitale Bahnapplikationen brauchen für ihren Betrieb hochleistungsfähige IT/TK-Plattformen. Im Vergleich zum heutigen Bahnbetrieb führen neue Anwendungsfälle zu erheblich höheren Anforderungen an die Konnektivität sowie an die Verarbeitung großer Datenmengen in Echtzeit. Hochperformante Konnektivität (CON) sowie leistungsfähige und skalierbare Datenverarbeitungsinfrastrukturen (COMP) sind – auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sicherheitsanforderungen – daher wichtige Basisfunktionalitäten eines vollständig digitalisierten Bahnsystems. 

Digitalisierung erfordert zudem eine systematische Erzeugung und Bereitstellung von Daten, um z. B. Künstliche Intelligenz (KI), die zukünftig in vielen Anwendungsfällen eine entscheidende Rolle spielen wird, ausreichend „trainieren“ zu können. Dazu braucht es eine sogenannte „Data-Factory“, die große Mengen notwendiger Daten u. a. für das „Training“ von KI-Software systematisch generiert und gezielt bereitstellt. Dafür wird eine Infrastruktur aus State-of-the-Art IT-Plattformen mit sehr großen Speichereinheiten und Hochleistungsrechnern benötigt.  

 

Informationsbasis

Ein hoher Grad an Automatisierung geht einher mit einer deutlichen Ausweitung der Informationsbasis. Zum einen erheben digitalisierte Systeme mehr Daten in höherer Frequenz. Im digitalen Bahnbetrieb sind dies insbesondere Daten zur Umfeld- und Hinderniserkennung (PER), zur hochgenauen Ortung von Zügen (LZ) sowie verschiedenste Diagnosedaten von Infrastruktur- und Zugkomponenten (DIA). Zum anderen benötigen digitale Systeme hochgenaue, reale Referenzdaten, mit denen die erhobenen Daten abgeglichen werden können. Dies ist Aufgabe des Digitalen Registers (DR), einer einheitlichen Datenbasis für Realdaten über Infrastruktur und Fahrzeuge.  

 

Ausführung

Anfahren, beschleunigen, bremsen, anhalten, Türen öffnen und schließen – all das werden Züge zukünftig selbständig durchführen. Das ist die Aufgabe der Automatic Train Operation (ATO). Neben dem Ziel des vollautomatisierten Fahrens mit Umfeld- und Hinderniserkennung gehört dazu auch das Auf- und Abrüsten von Triebfahrzeugen sowie die Durchführung sämtlicher weiterer Fahrfunktionen. Das digitale Bahnsystem der Zukunft wird außerdem über einen vollständig automatisierten Betrieb der  Infrastruktur verfügen. Im Zentrum steht dabei die konsequente Digitalisierung der Eisenbahnsicherungstechnik. Dies ist die Aufgabe des Advanced Protection Systems (APS). Dazu gehört die Sicherung des Fahrwegs – z. B. das korrekte Stellen von Weichen und Fahrstraßen, was heute überwiegend „analoge“ Stellwerke übernehmen (Relaisstellwerke, mechanische Stellwerke) – sowie die Zugbeeinflussung auf Basis ETCS. Letztere stellt sicher, dass Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht überschritten werden und greift bei Abweichungen automatisch ein.  

 

Steuerung

Im dichten Verkehr entstehen immer wieder Störungen an verschiedenen Stellen. Auf diese muss reagiert werden, da sie sich sonst wie eine Kettenreaktion ausbreiten. Diese Korrekturen werden heute manuell durchgeführt. Im zukünftigen, noch dichteren Verkehr ist das nicht mehr möglich. Entscheidungen müssen in kurzen Abständen schnell und vorausschauend getroffen werden. Die in Echtzeit generierten Daten im Betrieb werden dazu verschiedenen Steuerungssystemen übermittelt, deren Aufgabe es ist, die Daten zu analysieren und optimale Entscheidungen für die verkehrliche Situation zu treffen. Das Kapazitäts- und Verkehrsmanagementsystem (CTMS) hat dabei die Aufgabe, automatisiert Befehle für Zugeinheiten und das Stellen von Gleiselementen zu geben, um den täglichen Betrieb zu steuern und zu optimieren. Das Crowd Management (CM) steuert den Fahrgastfluss, z. B. in Bahnhöfen. Das Störfallmanagement obliegt dem Incident Prevention and Management (IPM). Auf Basis der Echtzeitinformation aus z. B. irregulären Vorfällen im täglichen Betrieb muss hier die Situation erkannt, bewertet, behoben und ggf. auch das Notfallmanagement eingeleitet werden.