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30.03.2023

Digitales Register – die „Single Source of Truth“ für Infrastrukturdaten für das vollautomatisierte Fahren

Nahezu alle Schlüsselfunktionen des digitalen Bahnbetriebes benötigen hochgenaue, aktuelle und digital verfügbare Infrastrukturdaten. Hierzu arbeitet die DB Netz AG im Rahmen der Sektorinitiative Digitale Schiene Deutschland intensiv an einem sogenannten „Digital Register“ als einheitliche Datengrundlage für die Systeme des digitalen Bahnbetriebs.

Zahlreiche Pilottests der Digitalen Schiene Deutschland, die in den letzten vier Jahren durchgeführt wurden, verdeutlichen, dass es einen Bedarf an hochgenauen, aktuellen und digital verfügbaren Infrastrukturdaten gibt: Sensorbasierte Wahrnehmungssysteme, die die Rolle der Streckenbeobachtung beim vollautomatisierten Fahren übernehmen, benötigen die Kenntnis von Objekten entlang der Strecke, um einfacher zwischen gefährlichen und ungefährlichen Situationen unterscheiden zu können. Zukünftige Lokalisierungssysteme benötigen hochauflösende Digitale Karten sowie Informationen über den exakten, dreidimensionalen Gleisverlauf (3D-Gleisachsen), um eine eindeutige Positionsbestimmung durchführen zu können. Ein KI-basiertes Kapazitäts- und Verkehrsmanagement benötigt aktuelle Topologie-Daten, um den Verkehr digital planen und steuern zu können. Für das Training von KI-Funktionen in Simulationsumgebungen oder Digital Twins werden reale Infrastrukturdaten als Input benötigt, um wirklichkeitsnahe, virtuelle Umgebungen schaffen zu können, die z. B. dem Training der Erkennung von Hindernissen und die Einleitung eine entsprechenden Reaktion bei einer vollautomatisierten Fahrt dienen.

 

Eine einheitliche Datengrundlage und zentrale Datenquelle für Infrastrukturdaten ist somit essenziell für die neuen Systeme des digitalen Bahnbetriebs. Das Digitale Register hält diese Daten zentral bereit, aktualisiert und bereitet sie auf. Dabei greift das Digitale Register auf existierende Infrastrukturdaten aus Quellen verschiedener Bereiche wie z. B. „Fahrplan und Betrieb“, „Leit- und Sicherungstechnik“ oder „Planen, Bauen und Instandhaltung“ zurück. Diese Datensätze werden aggregiert, konsolidiert und mit neuen, zusätzlichen Datensätzen ergänzt, die für das vollautomatisierte Fahren notwendig sind. Darüber hinaus bietet das Digital Register Schnittstellen für eine Vielzahl von Schlüsselfunktionalitäten, die für die Digitalisierung und Automatisierung des Bahnbetriebs erforderlich sind und fungiert somit als „Datendrehscheibe“ (vgl. Abbildung 1).

Inhalt des Digitalen Registers

Die Daten des Digitalen Registers lassen sich grob in 3D-Daten und Topologie-Daten gliedern. Die 3D-Daten beschreiben hochgenau lokalisierte Objekte wie 3D-Gleisachsen, Bahnsteige, Ober-leitungsmasten, Schilder, Tafeln, Signale etc. Diese Daten werden als vereinfachte 3D-Objekte gespeichert und durch verschiedene Attribute detailliert beschrieben.

Die Topologie-Daten beschreiben auf höchster Ebene die logischen Verbindungen von Gleiselementen, z. B. von Weichen untereinander oder zwischen Weichen und Gleisabschlüssen in Form eines Knoten-Kanten-Modells. Detaillierter beschrieben werden diese Informationen dann mit Daten relevanter Infrastrukturelemente, z. B. Bahnübergänge oder Tunnel und betrieblichen Infrastrukturdaten, z. B. Geschwindigkeitsprofilen oder Gradienten.

Abbildung 1: Das Digitale Register als zentrale Datendrehscheibe für die Systeme des digitalisierten Bahnbetriebs. Abbildung 1: Das Digitale Register als zentrale Datendrehscheibe für die Systeme des digitalisierten Bahnbetriebs.
Abbildung 1: Das Digitale Register als zentrale Datendrehscheibe für die Systeme des digitalisierten Bahnbetriebs.

Erstellen der 3D-Daten aus hochgenauen LiDAR-Punktwolken

Durch hochgenau vermessene Lidar-Punktwolken werden die relevanten Objekte sozusagen im dreidimensionalen Raum „gescannt“. Hinter der an Messfahrzeugen angebrachten Lidar-Technologie stecken im wesentlichen Laser, die die Umgebung „abtasten“. Anschließend werden die detektierten Objekte dann klassifiziert und präzise verortet. Dazu werden sie simplifiziert und über die Punktwolke gelegt. Dadurch entsteht die in Abbildung 2 zu sehende Überlagerung von 3D-Objekten und Punktwolken. Relevante Objekte werden „gelabelt“, also identifiziert und markiert. Diese gelabelten Bereiche der Punktwolke wandern in das Digitale Register. Das Erheben und Markieren der 3D-Objekte und somit die Schaffung einer umfangreichen Datengrundlage erfolgt derzeit hauptsächlich manuell.

Die erhobenen 3D-Objekte dienen wiederum als Grundlage für die Erstellung einer hochauflösenden Digitalen Karte „High Definition (HD) Map“ mit verschiedenen Kartenebenen (Layern). Mittels der Layer können neben der gesamten Karteninformation auch Teilbereiche (also z.B. „nur Gleise“; „nur Bahnsteige“) abgerufen werden. Der Fokus der HD-Map, die ursprünglich aus dem Automotivebereich stammt, liegt auf dem automatisierten Fahren, der Unterstützung von Fahrassistenzsystemen und der Lokalisierung von Fahrzeugen. Für diese Zwecke bildet die HD-Map im Gegensatz zu herkömmlichen Navigationskarten die Realität in einem deutlich höheren Detailgrad mit Genauigkeiten im cm-Bereich ab.

Abbildung 2: Darstellung einer 3D-LiDAR Punktwolke mit klassifizierten Objekten (farblich markiert), die ins Digitale Register aufgenommen werden. Abbildung 2: Darstellung einer 3D-LiDAR Punktwolke mit klassifizierten Objekten (farblich markiert), die ins Digitale Register aufgenommen werden.
Abbildung 2: Darstellung einer 3D-LiDAR Punktwolke mit klassifizierten Objekten (farblich markiert), die ins Digitale Register aufgenommen werden.

Anwendungsbeispiel im Projekt Sensors4Rail (S4R): Das Digitale Register - ausgeprägt als hochauflösende Digitale Karte - als Unterstützung für das vollautomatisierte Fahren

Das Projekt Sensors4Rail stattete erstmals einen Zug der Hamburger S-Bahn mit einem umfangreichen Sensorsetup (u. a. Kamera, Radar, Lidar, Satellitennavigationssystem (GNSS), Intertialmessgerät (IMU)) aus und testet sensorbasierte Wahrnehmungssysteme z.B. zur Hinderniserkennung. Diese können beim fahrerlosen Fahren der höchsten Automatisierungsstufe ATO GoA4 (Automatic Train Operation with Grade of Automation 4) die Streckenbeobachtung sowie die Lokalisierung des Zuges übernehmen.

Im Projekt wurden mehrere Anwendungsfälle erprobt. Für diese stellt die HD-Map einen wichtigen Input dar. Die gleisgenaue Lokalisierung der Zugfrontposition erfolgt in dem Projekt aus einer Kombination verschiedener Signalquellen (GNSS, IMU, Wegimpulsgeber), erkannter Landmarken (mit Radar u. Lidar) und einer hochgenauen 3D-Gleisachse aus der HD-Map.

Abbildung 3: Landmarkenerkennung mit LiDAR-Sensorik im Projekt Sensors4Rail. Die Detektion der Oberleitungsmasten referenziert auf die Digitale Karte und verortet damit in Echtzeit den Zug. Abbildung 3: Landmarkenerkennung mit LiDAR-Sensorik im Projekt Sensors4Rail. Die Detektion der Oberleitungsmasten referenziert auf die Digitale Karte und verortet damit in Echtzeit den Zug.
Abbildung 3: Landmarkenerkennung mit LiDAR-Sensorik im Projekt Sensors4Rail. Die Detektion der Oberleitungsmasten referenziert auf die Digitale Karte und verortet damit in Echtzeit den Zug.

Neben der Landmarkenerkennung (s. Abbildung 3) und der Lokalisierung des Zugs wurden auch die Funktionen Personendetektion, Zugdetektion, Gleiserkennung und Gleisfreiraumerkennung mittels Unterstützung der HD-Map umgesetzt. Um ausreichend aktuelle und genaue Kartendaten bereitstellen zu können, wurden in dem Projekt über 120 km des Hamburger S-Bahn-Netzes erfasst und mit dem oben beschriebenen Verfahren „gescannt“ und „gelabelt“.

Anwendungsbeispiel im Projekt Digitaler Knoten Stuttgart (DKS): Das Digitale Register als Quelle für Infrastrukturdaten für das hochautomatisierte Fahren

Im Pilotprojekt Digitaler Knoten Stuttgart (DKS) wird basierend auf der Streckenausrüstung ETCS Level 2 ohne Signale und der zugehörigen Fahrzeugausrüstung  das hochautomatisierte Fahren ATO GoA2 (Automatic Train Operation mit Grade of Automation 2)  im Fahrgastbetrieb realisiert. Anfahren, Beschleunigen, Bremsen, Halten erledigen die Züge dabei selbstständig. Der Triebfahrzeugführer übernimmt nur noch die Streckenbeobachtung und greift lediglich bei Störungen ein.

Während die Fahrzeuge durch die Industrie beauftragt von Land und DB Regio für ATO GoA2 ausgerüstet werden (zum Teil im Rahmen einer Innovationskooperation), erfolgt die streckenseitige Umsetzung im Projekt Automated Rail@DKS. Dort werden für die S-Bahn Stuttgart und weitere Regionalverkehre die erste Ausbaustufe des Digital Registers („Basic-DR“), die Vorstufe eines Kapazitäts- und Verkehrsmanagementsystems („CTMS-Translator“) sowie die streckenseitige ATO-Funktionalität (ATO-Tracksite) implementiert. Abbildung 4 zeigt die fahrzeugseitige sowie die streckenseitige Ausrüstung im DKS.

Abbildung 4: High Level Architektur für die Realisierung von fahrzeug- und streckenseitiger Ausrüstung für die Umsetzung von ATO GoA2 im DKS. Abbildung 4: High Level Architektur für die Realisierung von fahrzeug- und streckenseitiger Ausrüstung für die Umsetzung von ATO GoA2 im DKS.
Abbildung 4: High Level Architektur für die Realisierung von fahrzeug- und streckenseitiger Ausrüstung für die Umsetzung von ATO GoA2 im DKS.

Zur Umsetzung von ATO GoA2 sind qualitativ hochwertige, betriebliche Infrastrukturdaten notwendig, die dem europäischen Standard (ATO over ETCS Spezifikation) entsprechen müssen. Diese Daten zu generieren sowie sie vollständig und korrekt vorzuhalten und auf Anfrage dem ATO-System in Echtzeit bereitzustellen ist Aufgabe des Digitalen Registers, in Stuttgart in der Ausführung Basic-DR (s. Abbildung 4). Als zentrales Infrastrukturdatenmanagement für das hochautomatisierte Fahren ist das Basic-DR somit ein wesentlicher Bestandteil für die Implementierung des hochautomatisierten Fahrens im Bahnsystem der Zukunft. Technologisch soll mit der Entwicklung des Basic-DR als Cloudlösung bereits für einen anstehenden, deutschlandweiten GoA2-Flächenrollout vorgesorgt werden. Neben diesem übergreifenden Aspekt hat die Cloudlösung auch den Vorteil, dass das komplette Datenmanagement des Basic-DR zentralisiert und unabhängig von der Region (hier Stuttgart) erfolgen kann.

Notwendigkeit von Standardisierung und Interoperabilität

Die vom Digitalen Register bereitgestellten Infrastrukturdaten sollen im zukünftigen automatisierten Bahnbetrieb in den Stufen GoA2 bis GoA4 allen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden. Aus diesem Grund ist es notwendig, das zugrundeliegende Datenmodell und die Schnittstellen der Systeme zu standardisieren. Weiterhin soll durch die Standardisierung von Infrastrukturdaten und Schnittstellen die Interoperabilität des Eisenbahnverkehrs in Europa gefördert werden. Das Digital Register ist deshalb auch zentraler Bestandteil im sogenannten „Innovation Pillar“ des Europe's Rail Joint Undertaking geförderten Projektes „R2DATO“ (Rail to Digital automated up to Autonomous Train Operation), welches unter dem EU-Forschungsprogramm „Horizon Europe“ aufgehangen ist und die Schaffung von Grundlagen für wegweisende Zukunftstechnologien für den Bahnsektor zum Ziel hat.

 

Zukünftige Entwicklungen des Digitalen Registers

Mit der Umsetzung des Pilotprojekts Digitaler Knoten Stuttgart wird das Digitale Register erstmals in den Betrieb gehen. Die dort erarbeiteten technologischen Grundlagen sollen auch für einen späteren GoA2 Flächenrollout – also den Rollout des hochautomatisierten Fahrens im gesamten Streckennetz - in Deutschland genutzt werden. Für 3D-Daten und den fahrerlosen Bahnbetrieb in der Automatisierungsstufe GoA4 gilt es in den folgenden Jahren, die Anforderungen an die Daten, die die HD-Map zur Verfügung stellen muss, in seriennahen Forschungsprojekten weiter zu validieren. Eine besondere Rolle wird hierbei auch der Prozess von Datenaufnahme, -speicherung, -bereitstellung bis hin zur Datenauswertung und -nutzung spielen. Theoretisch wurde dieser Prozess schon im Projekt SafeRailMap angedacht. Diesen gilt es nun in enger Zusammenarbeit mit dem Bestandsdatenmanagement der DB Netz weiterzuentwickeln und in die Realität zu überführen. Ferner sollen zukünftig neue Methoden und Datenquellen (wie z. B. Building Information Modeling (BIM) Objekte) die existierenden Prozesse zum Labeling und zur Validierung von 3D-Daten vereinfachen und verbessern.