CLUG – Lokalisierung von Zügen auf Basis von Satellitennavigation
Die Eisenbahn spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung eines umweltfreundlicheren Verkehrs und hilft Deutschland und Europa, die Herausforderungen einer nachhaltigen Mobilität zu meistern. Die Schiene ist nach wie vor eine der besten Lösungen zur Umsetzung der umweltfreundlichen Verkehrswende.
Um das volle Potenzial des Bahnsystems sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr zu nutzen und noch mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern, ist die Digitalisierung eine wichtige Voraussetzung. In diesem Zusammenhang ist eine hochpräzise Echtzeitlokalisierung von Zügen inzwischen zu einem der Hauptthemen für den europäischen Eisenbahnsektor geworden.
Die Position jedes Zuges in Echtzeit zu kennen ist eine wichtige Anforderung an das zukünftige Bahnsystem. Das EU-Parlament fordert in seinem kürzlich verabschiedeten Bericht vom Juli 2021 [1] gemeinsame Anstrengungen zur Einführung von GNSS für die Zugortung im Rahmen der ERTMS-Umsetzung. Präzise und zuverlässige Lokalisierung ist eine Voraussetzung für neue innovative Funktionalitäten wie etwa KI-basierte, intelligente Verkehrsmanagementsysteme, der automatisierte Zugbetrieb (ATO) oder ETCS Level 3 “Moving Block”, der es den Zügen ermöglicht, in optimierten und dynamischen Abständen zu fahren. So können die europäischen Green-Deal-Ziele zur Verringerung der CO2-Emissionen unterstützt werden: Kapazität und Leistungsfähigkeit des Schienenverkehrs können mit verhältnismäßig geringen Investitionen erhöht werden.
Derzeit basiert die sicherheitsrelevante Lokalisierung des Zuges auf streckenseitigen Infrastrukturelementen wie Gleisstromkreisen oder Achszählern, die in bestimmten Abständen an festen Positionen entlang der Bahnstrecke angebracht sind. Zusätzlich zu dieser streckenseitigen Zugortung teilt der Zug seine relative Position in Bezug auf einen Referenzpunkt (d. h. die Position der Eurobalisen als eine Art Meilensteine) und die seit diesem Punkt zurückgelegte Strecke mit Hilfe von Odometriesensorik (z. B. Wegimpulsgeber oder Doppler-Radar usw.) mit.
Diese fahrzeugseitige Zugortung ist eine große Herausforderung für das European Rail Traffic Management System (ERTMS). Viele Organisationen, darunter die Europäische Eisenbahnagentur (ERA), sind der Ansicht, dass in diesem Zusammenhang der Einsatz von GNSS (Global Navigation Satellite System) das europäische Eisenbahnsystem entscheidend verändern könnte (siehe Link ERA-Bericht von 2015 [2]). Die Einführung der GNSS-Technologie in das bestehende ERTMS/ETCS-System wird dazu beitragen, die Datenqualität von Lokalisierungsinformationen zu verbessern sowie Probleme und Defizite in Bezug auf die Genauigkeit der derzeitigen Odometriesysteme zu beheben. Zudem kommt es durch die dadurch mögliche Reduzierung der streckenseitigen Infrastrukturelemente zu weniger Ausfällen. Insgesamt führt dies zu einem systemweiten Anstieg der Zuverlässigkeit des Schienenverkehrs und einer potenziellen Senkung der Betriebskosten.
Infolgedessen treibt Europa den Einsatz von GNSS im Eisenbahnsektor voran.
Der Einsatz von GNSS im ERTMS für signaltechnische Anwendungen erfordert eine detaillierte Bewertung der Sicherheitsanforderungen und der Leistungsfähigkeit, die ein GNSS-basiertes, fahrzeugseitiges Lokalisierungssystem bieten kann. Vor diesem Hintergrund wurde das von der European Union Agency for the Space Programme (EUSPA) geförderte und als europäisches HORIZON-2020-Projekt finanzierte Projekt CLUG ins Leben gerufen.
Certifiable Localisation Unit with GNSS (CLUG)
CLUG, gestarted 2019, besteht aus unterschiedlichen Partnern: Eisenbahnunternehmen (SNCF, DB NETZ und SBB), Signaltechnikindustrie (CAF und Siemens), Navigationsexperten (Airbus Defence and Space, Naventik, FDC), Forschungsinstitute (ENAC) und Zertifizierungsexperten (Navcert). Im Rahmen der Sektorinitiative "Digitale Schiene Deutschland" (DSD) arbeitet die DB Netz AG mit diesen Partnern in Form eines Kooperationsprojektes zusammen.
CLUG wurde ins Leben gerufen, um den Einsatz von GNSS für Anwendungen im Bereich der Signaltechnik sowie weiteren Funktionen wie z. B. automatisierter Zugbetrieb (ATO) oder intelligente Verkehrsmanagementsysteme zu untersuchen und zu bewerten. Die Hauptziele des Projektes sind:
- Ermittlung des Bedarfs, der Ziele und der funktionalen und leistungsbezogenen Anforderungen an das Lokalisierungssystem unter Anwendung eines "Top-Down"-Ansatzes durch die Eisenbahnunternehmen, d. h. die Nutzer des Systems
- Definition der Systemarchitektur und Entwicklung eines prototypischen Algorithmus für ein GNSS-basiertes Multi-Sensor-Fusionsverfahren zur Lokalisierung im Eisenbahnbereich
- Entwicklung von Verfahren, Methoden und Werkzeugen zur Zertifizierung des Lokalisierungssystems
- Demonstration der Machbarkeit des Multisensor-Fusionsverfahrens anhand von Daten, die bei Testfahren in Deutschland, Frankreich und der Schweiz aufgezeichnet wurden.
Der Ansatz von CLUG
Der Aufsatz des fahrzeugseitigen Zuglokalisierungssystems (Train Localisation On-Board Unit - TLOBU) in CLUG nutzt Sensordaten von fahrzeugseitigen Sensoren wie GNSS, Inertialsensoren (IMU) und Geschwindigkeitssensoren sowie eine digitale Karte, die die Streckentopologie einschließlich der Gleismitte mit absoluten Referenzpunkten liefert. Das Lokalisierungssystem stützt sich nur auf die Informationen einer minimalen Anzahl von streckenseitigen Infrastrukturelementen, z. B. einer reduzierten Anzahl von Eurobalisen. Zusätzlich zu GNSS (d. h. GPS und Galileo) wird im zentralen Navigationssystem der European Geostationary Navigation Overlay Service (EGNOS) verwendet, welcher durch Ausstrahlen von Korrekturdaten sowohl die Sicherheit als auch die Performance der GNSS-Lokalisierung zu verbessert. Um die Position des Zuges mit einer Genauigkeit von bis zu einem Meter sowie dem erforderlichen Sicherheitslevel zu bestimmen, werden vom Fusions- und Integritäts-Algorithmus des CLUG-Lokalisierungssystems die Sensordaten zusammen mit der digitalen Karte verwendet.
Lokalisierung als zentrales Thema bei der Digitalen Schiene Deutschland
Das Thema fahrzeugseitige Lokalisierung von Zügen ist ein wichtiges Innovationsfeld der Digitalen Schiene Deutschland. Neben CLUG wird in einem weiteren Projekt die fahrzeugseitige Lokalisierung mit einem anderen Technologiesetup erprobt. Im Kooperationsprojektprojekt „Sensors4Rail“ besteht das Lokalisierungssystem ebenso aus GNSS, Bewegungs- und Beschleunigungssensoren, verfügt aber zusätzlich über ergänzende Umgebungssensoren wie Kameras, Lidar, Radar und einer HD-Map, einer sehr hochauflösenden digitalen Karte. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass er nicht mehr auf streckenseitige Infrastrukturelemente wie Eurobalisen angewiesen ist. Dafür benötigt er fahrzeugseitig zusätzlich eine sensorbasierte Umfeldwahrnehmung und eine HD-Map.
Die Digitale Schiene Deutschland wird weiterhin verschiedene Ansätze von Zuglokalisierung testen und gemeinsam mit führenden Partnern aus der Industrie Pilotprojekte auf diesem wichtigen Digitalisierungsbereich durchführen. Dadurch können zum einen die entstehenden Lösungen und Produkte mitgestaltet werden. Zum anderen kann sichergestellt werden, dass das beste Technologiesetup für eine Hochpräzisionsortung von Zügen ins System Bahn Einzug hält.
Präsentation der Ergebnisse
Das von der Europäischen Kommission im Rahmen von Horizon Europe 2020 finanzierte CLUG-Projekt fand im Mai 2022 seinen Abschluss. Die Abschlussveranstaltung fand am 19. Mai 2022 in Paris statt. Um die Ergebnisse auch virtuell mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen, haben wir zusätzlich am 9. Juni 2022 ein CLUG-Online-Webinar veranstaltet.
Hier sind die Agenda und die Aufzeichnung der Online-Veranstaltung zu finden.